System Thinking - Wie Du Probleme dauerhaft löst, statt nur Symptome zu bekämpfen - #DNO (2024)

System Thinking ist ein methodischer Ansatz, um das Verhalten dynamischer und komplexer Systeme zu erklären und zu optimieren. Mit Systemdenken lernst Du, Herausforderungen ganzheitlich zu betrachten, um basierend auf diesen Einsichten bessere Entscheidungen für die langfristige Ausrichtung deines Unternehmens zu treffen.

In diesem Beitrag erkläre ich Dir die Grundlagen von Systems Thinking und wie Du diese Sichtweise auf die erfolgreiche Entwicklung und Transformation deines Unternehmens anwendest.

Was ist System Thinking?

Der Begriff System Thinking geht auf Barry Richmond (1987) zurück und wurde in den Folgejahren von verschiedenen Experten wie Peter Senge mit Leben gefüllt. Allerdings gibt es keine allgemeingültige und exakte Definition, was Systems Thinking genau ist. Ganz allgemein ist Systemdenken ein Denkansatz, mit dem Du Probleme auf einer strukturellen Ebene verstehen und systematisch lösen lernst, statt nur auftretende Symptome zu bekämpfen. Dazu bietet dir System Thinking eine Reihe von Werkzeugen und Fragestellungen, die dir helfen die Eigenschaften eines Systems zu erklären, Muster zu erkennen, Hypothesen zu formulieren und nachhaltige Lösungsstrategien abzuleiten. Oder um es frei nach Barry Richmond zu sagen: Mit System Thinking siehst Du den Wald und die Bäume. Mit jeweils einem Auge auf beidem. Dabei ist Systemdenken die Suche nach den Eigenschaften eines Systems, die mit bloßem Auge und in den Einzelteilen nicht zu finden sind.

The significant problems we face cannot be solved at the same level of thinking we were at when we created them.

Albert Einstein

Wenn Du dich für die unterschiedlichen Sichtweisen und Definitionen von Systemdenken interessierst, empfehle ich Dir den Artikel “A Definition of Systems Thinking: A Systems Approach”. In dieser Arbeit gehen die Autoren auf unterschiedliche Definitionen von System Thinking ein und bemühen sich um eine allgemeingültige Definition.

Anwendungsgebiete System Thinking

System Thinking ist eine Metakompetenz mit der Du vielfältige und weitreichende Fragestellungen adressieren kannst. Angefangen von globalen Umweltproblemen, gesellschaftlichen Herausforderungen bis hin zu strategischen Challenges und täglichen Problemen in deinem Unternehmen. Die Anwendung von System Thinking ist vor allem unter folgenden Voraussetzungen besonders sinnvoll:

  1. Probleme treten chronisch auf.
  2. Eine dauerhafte Lösung ist erfolgskritisch.
  3. Vorherige Lösungsversuche sind verpufft, haben die Situation verschlimmert oder gar neue Probleme verursacht.

Für Menschen in Führungsrollen ist Systemdenken ein unverzichtbares Werkzeug, damit sie als Mitgestalter und Architekten ihrer Systeme und Organisationen ihre Wirksamkeit erfolgreich erhöhen.

Die 11 Gesetze des System Thinking von Peter Senge, aus “The fifth discipline”.

  1. Today’s problems come from yesterday’s ‘solutions.’
  2. The harder you push, the harder the system pushes back.
  3. Behavior will grow worse before it grows better.
  4. The easy way out usually leads back in.
  5. The cure can be worse than the disease.
  6. Faster is slower.
  7. Cause and effect are not closely related in time and space.
  8. Small changes can produce big results…but the areas of highest leverage are often the least obvious.
  9. You can have your cake and eat it too — but not all at once.
  10. Dividing an elephant in half does not produce two small elephants.
  11. There is no blame.

Definition “System”

Wenn System Thinking hilft immanente Probleme eines System zu lösen, dann sollte klar sein, was genau unter einem “System” zu verstehen ist. Im Systemdenken ist ein System durch drei konstituierende Merkmale definiert. Das erste Merkmal eines Systems ist der Sinn und der Zweck, den das System erfüllt. Das heißt, ein System hat eine Funktion oder eine “emergent property”, also ein erkennbares Ergebnis. Zweitens besteht ein System aus einzelnen Elementen oder Komponenten. Dabei ist jedes Element für die Funktionsweise und den Erfolg des Systems wichtig. Drittens stehen die Elemente des Systems in einer Interaktion und Beziehung zueinander (“Interconnections”).

A system is an interconnected set of elements that is coherently organized in a way that achieves something.

Donella H. Meadows

Das heißt, ein System definiert über das Zusammenspiel seiner Komponenten zur Erreichung eines Ergebnisses. Ohne das Zusammenspiel der Elemente hast Du nur eine Sammlung von Elementen, aber kein System. Damit ist die Leistung eines Systems auch nicht einfach die Summe seiner Teile, sondern das Produkt der darin vorherrschenden Interaktionen. Im Systemdenken ist dein System damit mehr als die Summe seiner Teile.

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Systemarten – Natürliche, soziale oder technische Systeme

Systeme können sowohl technischer, natürlicher oder auch sozialer Natur sein. Dabei tragen manche Systeme ihren Zweck bereits im Namen, z.B. Nahverkehrssystem, Heizungssystem, natürliches Ökosystem oder z.B. auch ein Wirtschaftssystem. Städte, Unternehmen, Vereine oder auch Familien sind Beispiele für soziale Systeme. Dabei folgen alle Systeme der oben skizzierten Systemdefinition.

Beispiele:

  • Technisches System: Autos, Flugzeuge, Kaffeemaschinen
  • Soziale Systeme: Städte, Familien, Organisationen
  • Natürliche Systeme: Regenwald, Wüsten, Ozeane

Systeme haben bewegliche Grenzen

Die Definition (d)eines Systems ist immer subjektiv. Dabei hängen seine Grenze ; (“Boundaries”) von der zu untersuchenden Fragestellung ab. Denn damit legst Du fest, was Teil des zu betrachtenden Systems ist und was nicht.

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Systemdenken hat auf die obige Beispielfrage des Rennwagens keine eindeutige Antwort. Denn wenn dein Ziel also ist die Aerodynamik des Rennwagens zu verbessern, dann ist dein zu untersuchendes System das Auto. Wenn deine Fragestellung allerdings lautet die schnellste Runde zu fahren, ist dein System durch Auto und Fahrer definiert. Wenn Du ein ganzes Rennen erfolgreich gestalten willst sogar einschließlich der Crew. Das heißt, dein System kann auch aus verschiedenen Subsystemen bestehen. Gleichzeitig kann dein zu untersuchendes System wiederum Teil eines übergeordneten Supersystems sein und ist in Umweltbedingungen eingebettet. Da Systeme ineinander verschachtelt sind, ist die erste zentrale Kompetenz im System Thinking ihre Grenzen und die grundlegenden Strukturen deines Systems zu erkennen.

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Kompetenzen und Denkwerkzeuge System Thinking

System Thinking bietet dir ein Set von Sichtweisen und Fähigkeiten, um die Eigenschaften von komplexen Systemen zu beschreiben, zu erklären, um sie basierend auf den erzielten Einsichten für ein gewünschtes Ergebnis zu optimieren. Bei der Anwendung dieser Werkzeuge geht es im Systemdenken nicht darum das System perfekt zu skizzieren. Sondern darum ein gemeinsames Verständnis über dein System und seine Funktionsweise zu entwickeln. Oder um es im Verständnis des LeSS Frameworks zu formulieren:

We model to have a conversation. The output is shared understanding, not the model.

Unbekannt

Systemelemente, -strukturen und -grenzen identifizieren

Die erste Fähigkeit im System Thinking ist es, die grundlegende Struktur eines Systems zu skizzieren. Dazu zählen eine Definition der Herausforderungen und der daraus abgeleiteten Systemgrenzen. Darauf aufbauend skizzierst Du die grundlegenden Elemente deines Systems (“Variables”) und setzt die auftretenden Einflussfaktoren in Beziehung. Dabei differenziert System Thinking die Elemente in deinem System in Bestandsgrößen (stocks) und Flussgrößen (flows). Die ausgehende Fragestellung zu formulieren, grundlegende Elemente deines Systems zu identifizieren und zu qualifizieren ist also der erste Schritt im System Thinking auf dem Weg ein gemeinsames Verständnis über die Funktionsweise deines Systems zu gewinnen.

Glossar System Thinking

In Darstellungen und Erklärungen zu System Thinking sind die Elemente deines Systems vielfältig beschrieben. Ich verstehe und verwende den Begriff “Element” als generischen Oberbegriff. Dabei können Elemente in deinem System unterschiedliche Ausprägungen haben.

  • Variable: Elemente in deinem System, die einer Änderung unterliegen können.
  • Bestand (stocks): als Sonderform einer Variablen, der sich durch Zu- und Abfluss erhöhen / verringern kann. Z.B. aktive Kunden, dein Cash oder auch immaterielle Größen wie Zufriedenheit.
  • Fluss (flows): als Sonderform einer Variablen, Inputs / Outputs bezogen auf eine bestimmte Zeiteinheit, die zu einer Veränderung des Bestands führen. z.B. Kündigungen oder auch neu gewonnene Kunden.
  • Prozesse (processes) verändern Input in Output und repräsentieren ein Set von Aktivitäten. Je nach Fragestellung kann der Prozess das zu betrachtende System oder eben nur das Subsystem eines größeren Systems sein, wie z.B. dein Unternehmen. Als System folgt der Prozess der allgemeinen Systemdefinition und besteht damit aus einem Ziel, Elementen und Interaktionen.
  • Constraints: Elemente die dein System beeinflussen, die jedoch fix und nicht veränderbar sind. Z.B. die finanzielle Ausstattung deines Vorhabens, gewisse Policies oder regulatorische Vorgaben.
  • Interfaces: Klassifizieren die Beziehungen der Subsysteme innerhalb deines Systems.

Einfache Wirkungsbeziehungen – Ursache und Wirkung

Die zweite Kompetenz im System Thinking ist es, deine im ersten Schritt erfassten Wirkungsbeziehungen zu qualifizieren. Denn die Beziehung der Elemente in deinem System kann auf zwei einfachen kausalen Zusammenhängen basieren:

  • Positiv: Wenn mehr von A, dann mehr von B
  • Negativ (opposite): Wenn mehr von A, dann weniger von B

Im System Thinking modellierst Du diese Zusammenhänge z.B. mit einem Causal Loop Diagram bzw. Wirkungsdiagramm. Gängige Annotationen unterstellen dabei implizit einen positiven Wirkungszusammenhang, andere kennzeichnen einen positiven Zusammenhang explizit mit einem Plus. Für negative Wirkungsbeziehungen verwendest Du analog zum Plus ein Minus oder ei ; “o” (opposite). Welche Konvention Du nutzt ist egal, hauptsache alle Beteiligten haben ein gemeinsames Verständnis. Eine “good practice” im System Thinking ist es, die Elemente und Variablen in deinem System weitgehend neutral zu formulieren und stattdessen die Beziehung mit einer einfachen Wirkungsbeziehung zu qualifizieren. Wenn eine Beziehung besonders stark oder prägend ist, machst Du den Wirkungspfeil einfach dicker.

Wechselbeziehungen und Feedback Loops

Mit System Thinking identifizierst Du Wechselbeziehungen in deinem System und entwickelst ein Verständnis darüber, was diese Feedback Loops für dein System bedeuten. Dabei ist ein Feedback Loop die Kombination mehrerer einfacher Wirkungsbeziehungen, die sich gegenseitig verstärken oder neutralisieren bzw. stabilisieren. Damit unterscheidest Du im System Thinking zwei Arten von Feedback Loops.

  • Eskalierend: sich gegenseitig verstärkende Wirkungsbeziehungen (positiv + kombiniert mit positiv + )
  • Stabilisierend: entgegengesetzte sich stabilisierende Wirkungsbeziehungen (positiv + kombiniert mit negativ – )

Um das Beispiel mit den Hühnern fortzuführen: Mehr Hühner führen zu mehr Eiern, die wiederum die Ursache für mehr Hühner sind. Es entsteht also ein eskalierender Feedback-Loop (E), der zu einem exponentiellen Wachstum der Hühnerpopulation führt.

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Wenn Hühner aufgrund ihrer hohen Population zum Eier legen allerdings unbeleuchtete Straßenkreuzungen überqueren müssen und sie dabei überfahren werden, dann entsteht ein stabilisierender Feedback-Loop (S). Dieser führt dazu, dass die Hühnerpopulation weitgehend konstant bleibt. System Thinking bedeutet diese Arten von Feedback Loops zu identifizieren und zu verstehen, was sie für die Funktionsweise deines Systems bedeuten.

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Delays – Wirkungsverzögerungen verstehen

Cause and effect are not closely related in time and space.

Peter Senge

Eine zentrale Eigenschaft komplexer Systeme und am schwierigsten zu (be)greifende Fähigkeit im System Thinking sind Wirkungsverzögerungen (Delays). Hierbei treten Wirkungs- und Wechselbeziehungen erst mit einer zeitlichen Verzögerung auf. Im Alltag begegnen dir eine ganze Reihe von Delays:

  • Pflanzen von Samen bis zur Ernte.
  • Von einer ersten Idee bis zur Marktreife eines Produktes.
  • Wunsch nach Veränderung bis zum Eintreten sichtbarer Resultate.

Auch wenn Dir intuitiv klar ist, dass das Zupfen an Grashalmen sie nicht schneller wachsen lässt, sind Delays nur schwer zu lokalisieren und erschweren das Lernen über die Funktionsweise des Systems. Systemdenken sensibilisiert dich für die Existenz von Delays in deinem System und hilft dir sie zu lokalisieren. Basierend auf dieser Einsicht kannst Du dann auf die Funktionsweise des Systems vertrauen, die Wirkungsverzögerungen aushalten oder versuchen sie zu vermeiden. Dazu findest Du in der praktischen Anwendung konkrete Beispiele.

Beispiel Wirkungsverzögerung – (Zu) heiß geduscht

Beim Gang unter die Dusche bist Du sicher gewohnt, dass das Drehen am Thermostat zu einer direkten Veränderung der Wassertemperatur führt. Nun stell dir vor Du hast im System Thinking Hotel das Zimmer mit Delays bekommen, in dem die Temperaturänderung erst mit zeitlicher Verzögerung erfolgt. Du steigst also unter die Dusche, stellst das zu kalte Wasser an und drehst das Thermostat nach oben. Da die Wirkung erst nach einem Delay erfolgt, merkst Du zunächst keine Änderung, drehst das Thermostat also noch weiter auf. Damit rennst Du ungewollt in einen eskalierenden Feedback Loop und verbrennst dich irgendwann. Einfach weil Du den Delay nicht erkennst oder bereit bist auszuhalten. Zur Darstellung eines Delay nutzt Du in Wirkungsdiagrammen übrigens einen doppelten Slash (//).

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Bequemer Tausch: Kurzfristigen Schmerz gegen langfristige Probleme

Delays und die Unfähigkeit diese zu erkennen führt zu einer weiteren sehr bequemen Verhaltenstendenz. Nämlich dem Vermeiden kurzfristiger Schmerzen im Tausch für langfristige Probleme. Ein Beispiel: Stelle Dir vor, Du hast quengelnde Kinder vor Dir, die ans Tablet wollen. Die Medienzeit ist vorbei, die Kinder wollen aber mehr. Der kurzfristige Schmerz ist das quengelnde Kind. Wenn Du nachgibst, schaffst Du kurzfristig einen stabilen Feedback Loop, der dich in Ruhe Kaffee trinken lässt. Allerdings verursachst Du langfristig bzw. mit einer Wirkungsverzögerung deutlich größere Probleme. Dann nämlich wenn deine Autorität leidet und das Kind gelernt hat, dass es nur lange genug quengeln muss, um zu bekommen was es will. Diese Effekte wiegen schwerer als der kurzfristig verbundene Schmerz. Auch im unternehmerischen Alltag findest Du viele Beispiele dieses nachteiligen Tauschgeschäfts. System Thinking lädt dich ein zu hinterfragen, wie dein kurzfristiges Verhalten mit einem Delay Probleme kreiert, die Du eigentlich vermeiden willst.

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Nichtlinearitäten – Eins plus eins ist nicht immer zwei

Ein weiteres zentrales Konzept im System Thinking sind Nichtlinearitäten. Das heißt, nicht aus jedem Ei wird ein Huhn. Oder etwas formaler ausgedrückt, nicht jeder Input führt zu einem Output in gleichem Umfang. Allerdings kann der menschliche Verstand nur schwer mit Nichtlinearitäten arbeiten. Das zeigt bereits die altbekannte Erzählung vom Erfinder des Schachbretts, der mit der jeweils doppelten Anzahl von Reiskörnern des vorhergehenden Feldes belohnt wird. Doch nicht nur Exponentialitäten sind schwer zu (be)greifen, sondern auch einfache Nichtlinearitäten. So ist unsere Vorstellung von Arbeit davon geprägt, dass die Erhöhung der Arbeitskraft automatisch zu einem höheren Output führt. Also wenn 10 Arbeiter 100 Eimer produzieren, wieviel brauchst Du dann für 200 Eimer?

Wenn mehr Arbeitskraft den Output senkt

Die lineare Gleichung, dass mehr Arbeitskraft den Output erhöht, trifft sicher bei der Erledigung einfacher Arbeitsvorgänge zu. Bei komplexen Aufgaben ist “mehr Arbeitskraft” nur vordergründig eine Lösung. Aber als System Thinker verstehst Du, dass dieser lineare Zusammenhang vor allem in komplexen Systemen nicht gilt, nur Symptome bekämpft, maximal zum Firefighting” taugt oder bei anspruchsvollen Aufgaben sogar den gegenteiligen Effekt haben kann. Dass also mehr Arbeitskraft den Output senkt. Mit System Thinking identifizierst Du die nichtlinearen Eigenschaften deines Systems und kannst kritisch hinterfragen, was diese Nichtlinearitäten mit der Funktionsweise deines Systems macht.

Adding manpower to a late software project makes it later.

Fred Brooks

Dynamik erklären und Hebel erkennen

Schließlich gipfelt System Thinking in der Fähigkeit die Dynamik eines komplexen Systems zu beschreiben. Diese Einsichten erlauben dir Hypothesen darüber zu formulieren, an welchen Hebeln Du ansetzen kannst, um deine eingangs skizzierte Problemstellung zu lösen. Dabei wirst Du feststellen, dass es Interventionen gibt, die eine hohe Wirkung versprechen (“high leverage intervention”). Andersherum identifizierst Du Punkte, die bei genauer Betrachtung durch die System Thinking Brille nur wenig Aussicht auf Erfolg versprechen (“low leverage intervention”). Damit schließt sich auch der Kreis zu deiner eingangs skizzierten Fragestellung. Mit System Thinking und den bis hierhing vorgestellten Denkwerkzeugen kannst Du nun einen “educated guess” und fundierte Hypothesen formulieren, wie Du Probleme in deinem System strukturell und systematisch lösen kannst. Aber denk daran. System Thinking ist keine exakte Wissenschaft, sondern es gilt der Leitsatz “We model to have a conversation”. Das heißt, Du kannst nur Hypothesen formulieren, ausprobieren und dein Vorgehen auf Basis deiner Erfahrung anpassen.

Mit System Thinking deine Unternehmensentwicklung erfolgreich gestalten

System Thinking hilft dir die Dynamik deiner eigenen Organisation zu verstehen. Damit gehört Systemdenken in den Werkzeugkasten aller Menschen, die für die strategische und organisatorische Entwicklung von Unternehmen verantwortlich sind. Allerdings stelle ich immer wieder fest, dass diese Fähigkeit ähnlich wie Design Thinking nur gering ausgeprägt ist oder dass einfach die Zeit dafür fehlt. Wir sind verzogen, in Lösungen zu denken und diese schnell zu implementieren. Statt sich die Zeit zu nehmen, Probleme wirklich ganzheitlich zu erfassen und systematisch zu lösen. Hier ein paar meiner tagtäglichen Highlights bei denen ich mir wünschen würde Verantwortliche hätten sich einmal mit System Thinking beschäftigt, damit ich mir lange Reden und das Unternehmen sich Aufwand sparen kann.

Kultur folgt Struktur

Jede Kulturinitiative, die nicht auch das Ziel und die Elemente deines Unternehmens adressiert, muss im Verständnis des System Thinking scheitern. Denn Kultur ist im Systemdenken nur die Summe aller Interaktionen. Diese Interaktionen hängen jedoch von den Elementen und den Zielen deines Systems ab. Das heißt, Du kannst Kultur nicht nachhaltig verändern, solange Du nicht auch die Elemente und Ziele deiner Organisation veränderst. Jeglicher Versuch, die Interaktionsmuster in deinem System z.B. durch Workshops und Trainings zu manipulieren, ist im besten Fall eine “low leverage intervention”. Deine high leverage Interventionen findest Du in den Ambitionen und strukturgebenden Elementen. Dazu zähle ich z.B. Incentive- und Bonus-Systeme, Performance- und Managementsysteme, Lenkungs- und Kontroll-Ausschüsse, Budgetierungen und vor allem deine Organisationsstruktur. System Thinking hilft dir die high leverage Interventionen zu identifizieren, die einen maximalen Einfluss auf die Interaktionen und damit die Kultur deiner Organisation versprechen.

Attempting to change an organisation’s culture is a folly, it always fails. Peoples’ behaviour (the culture) is a product of the system; when you change the system peoples’ behaviour changes.

John Seddon

System Thinking und Digitale Transformation

Bei der Einführung moderner IT- und Softwaresysteme würde ich mir mehr System Thinking wünschen. Denn technische Systeme sind nicht einfach nur eine Verlängerung deiner Ablauforganisation. Vielmehr stehen IT Systeme und vielleicht sogar deine Ablauforganisation in einer unmittelbaren Wechselwirkung.

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Denn meistens kommt deine Ablauforganisation aus einer Zeit in der noch Aktenordner durch die Gänge getragen und Faxe geschickt wurden. Wenn Du nun anfängst, diese Abläufe in Software zu integrieren, dann kreierst Du mit einem Delay neue Probleme in Form von technischen Schulden. Dabei beobachte ich viele Organisationen, die den kurzfristigen Schmerz vermeiden und damit diese langfristige Probleme in Kauf nehmen.

Beispiel kurzfristige Schmerzen vs langfristige Schulden

Stell dir vor, Du hast ein Team von fünf Leuten, die sich um die Qualität deiner Kundenstammdaten kümmern. Das Team stammt aus einer Zeit, in der Kundenanlagen noch manuell erfolgten. Nun bietet eine neue Software die Möglichkeit durch einen Mix aus Self-Service und KI den Arbeitsaufwand dieses Teams um 98% zu eliminieren. Den manuellen Prüfschritt in die Software einbauen, wäre eine individuelle Anpassung, die nicht teuer ist, aber eine individuelle Entwicklung, die die Updatefähigkeit der Fremdsoftware negativ beeinflusst. Was machst Du mit deinem neu erworbenen Wissen über System Thinking?

Strategie AStrategie B
Vorgehen➔ Team beibehalten
➔ Software customizen
➔ Software im Standard
➔ Team abschaffen
Kurzfristiger
Schmerz
Keiner➔ Neue Aufgaben und Rollen für das Team finden
➔ Betriebsrat
➔ Ggf. Entlassungen
Delay – Langfristige AuswirkungenUpdates und Sicherheit der Software gefährdet, Aufbau von technischen Schulden.Keine

Was für Menschen mit technischem Sachverstand und System Thinker augenscheinlich ist, ist leider in vielen Organisation nicht selbstverständlich. System Thinking bietet dir ein Werkzeug, um Wechselwirkungen zwischen deiner Ablauforganisation und deinem technischen System auch für Nicht- ITler transparent zu machen.

Delays aushalten – Führung überdenken

Delays sind für dich in einer Führungsrolle nur schwer auszuhalten. Schließlich sind wir als Manager gerne “in Kontrolle” und haben nachweisbaren Einfluss auf das System. Wenn Delays allerdings zu einer verzögerten Reaktion führen, dann sehen wir das Ergebnis zunächst nicht. Und auch wenn Du weisst, dass das Zupfen am Grashalm ihn nicht schneller wachsen lässt, kann es passieren, dass die ausbleibende direkte Wirkung zu einem “noch mehr” der gleichen Aktion führt und Du damit ganz neue Probleme verursachst. Auch wenn Geduld eine Tugend ist, hilft dir Systemdenken vorab potentielle Delays zu lokalisieren, um überhaupt eine Einsicht darüber zu gewinnen, ob Geduld angebracht ist oder andere Elemente und Einflussfaktoren die gewünschte Wirkung möglicherweise ganz verhindern.

Delays transparent machen – Agiles Arbeiten

Agiles Arbeiten ist das perfekte Rezept um Delays in deinem System transparent zu machen oder ihre schädliche Wirkung zu vermeiden. Denn agiles Arbeiten führt zwei wesentliche neue Elemente in dein System ein: Retrospektiven innerhalb derer die Zusammenarbeit reflektiert wird und Reviews, in denen konkrete Deliverables und Arbeitsergebnisse präsentiert werden.

Mit regelmäßigen Retrospektiven schaffst Du ein Umfeld, in dem Probleme unmittelbar adressiert werden, anstatt unausgesprochen zu bleiben und schleichend bzw. mit einem Delay zu negative Verhaltensanpassungen zu führen. Denn als System Thinker weißt Du, dass diese negativen Interaktionen die Leistungsfähigkeit deines Systems verändert. Zweitens nutzt Du Reviews, um Delays in der Lieferung von Arbeitsergebnissen transparent zu machen. Damit kannst Du Delays in der Fertigstellung zwar nicht vermeiden. Allerdings kannst Du sie auf ein Minimum reduzieren. Denn Du etablierst ein Managementsystem mit dem Wirkungsverzögerungen transparent werden und senkst damit systematisch das Risiko in deinem Unternehmen.

Delays für den Kunden vermeiden

System Thinking hilft Dir auch zu reflektieren, welche Delays durch dein System für deine Kunden entstehen. Dabei ist die Vermutung nicht so abwegig, dass in einer digitalen “alles schneller, sofort” Kultur jeder Delay auf Kundenseite die Zufriedenheit und Kaufbereitschaft des Kunden senkt. Dabei sollte deine Strategie sein, Delays für den Kunden gänzlich zu vermeiden. Und die hier vorgestellten Werkzeuge des Systemdenkens helfen dir ein gemeinsames Verständnis der Delays, ihrer Konsequenzen aber vor allem Strategien zur Vermeidung abzuleiten.

“Best practices” als Alarmsignal

Wenn Du System Thinking ernst nimmst, dann solltest Du beim Vorschlag von “best practices” hellhörig werden. Denn die sind nicht nur das Lieblingswerkzeug von Bürokraten, sondern bekämpfen fast immer nur Symptome. Damit lässt eine Organisation jegliche Bereitschaft vermissen sich systematisch und strukturell mit deinen eigenen Herausforderungen auseinander zu setzen. Denn Systemdenken erfordert Zeit, die Bereitschaft miteinander zu reden, um ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln und Hypothesen zu formulieren, wie Herausforderungen dauerhaft und strukturell gelöst werden können. Wenn dir also zu viele Rufe nach best practices entgegen hallen, dann lade deine Kollegen mal zu einer System Thinking Session ein. Wenn das Angebot verpufft, dann lauf schnell. Denn Unternehmen die in komplexen und dynamischen Umfeldern auf best practices setzen, werden am Ende nur ihren eigenen Schwanz jagen.

System Thinking Training

Ich habe selbst lange nach geeigneten Kursen und Trainings recherchiert. Leider ist das Angebot sehr spärlich. Vielleicht liegt es daran, dass man einfach anfangen sollte und Systemdenken ähnlich wie Design Thinking eine Kompetenz ist, die vor allem von der Praxis und der Anwendung lebt. Oder vielleicht daran, dass die hier vorgestellten Konzepte schwer zu vermitteln sind und echte Experten rar gesät. Hier eine Liste von Kursen, die ich zum Thema gefunden habe:

  • Systems Thinking – University College London (UCL) – Guter remote Tagesworkshop für schlappe 95 Pfund, den ich selbst besucht habe. Link
  • Systems Thinking and Engineering Management – University College London (UCL) – 8 wöchiger Kurs, remote für 500 Pfund. Link

Kennst Du weitere Seminare und Events zum Thema System Thinking, die Du aus eigener Erfahrung empfehlen kannst? Dann hinterlasse gerne einen Kommentar.

Fazit – Transformation durch Ambition und Strukturen

System Thinking ist eine Metakompetenz, die dir hilft die strategische und organisatorische Entwicklung in deinem Unternehmen zu gestalten. Dabei ist Systemdenken gleichzeitig eine Aufforderung sich die Zeit zu nehmen kritische Fragestellungen ganzheitlich, strukturell und gemeinsam zu erforschen.

Wenn Unternehmen ein ernsthaftes Interesse haben ihre agile und digitale Transformation wirksam zu gestalten, dann kann in einem System Thinking Verständnis der Weg nur über die Ziele und die Strukturen deiner Organisation führen. Damit meine ich nicht etwa leere Visionen oder austauschbare Slogans, sondern eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Anliegen und den Ambitionen deiner Organisation in digitalen Märkten. Wenn Du dann bereit bist deine liebgewonnene Aufbauorganisation, damit einhergehende Managementsysteme und Incentive-Strukturen zu hinterfragen, dann ist das kurzfristig vielleicht mit Schmerzen verbunden. Mittel- und langfristig ist es aber der beste Weg, um dein Unternehmen nachhaltig zu transformieren.

Viel Erfolg dabei,

System Thinking - Wie Du Probleme dauerhaft löst, statt nur Symptome zu bekämpfen - #DNO (10)

Zusätzliche Ressourcen

Arbeitsbuch

System Archetypes

“System Archetypes” von beschreibt 10 Archetypen von Problemstellungen imSystem Thinkingwie Du sie in Organisationen antriffst. Das kostenfreie eBook ist ein guter Start- und Referenzpunkt, um mögliche Probleme und seine Ursachen in deinem Unternehmen zu reflektieren.

System Thinking - Wie Du Probleme dauerhaft löst, statt nur Symptome zu bekämpfen - #DNO (11)

Buch

Thinking in Systems: A Primer

Thinking in Systems ist eine prima Einführung in “System Thinking” und wie Du in komplexer Systemen navigierst. Das Buch basiert auf den Erklärungen von Donella Meadows einer Pionierin im Bereich der systemischen Betrachtung und Verfasserin der bekannten Studie “Grenzen des Wachstums”.

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Artikel

A Definition of Systems Thinking: A Systems Approach

In diesem Artikel gehen die Autoren auf unterschiedliche Definitionen von System Thinking ein und bemühen sich um eine allgemeingültige Definition.

Buch

Unkompliziert!: Das Arbeitsbuch für komplexes Denken und Handeln in agilen Unternehmen

Ein schön illustriertes und anschauliches Buch zum Themasystemisches Denkenund dem Umgang mit Komplexität.

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Author: Dong Thiel

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